Patagonien
Die Odyssee der Heimreise
Heute am definitiv letzten Urlaubstag können wir es ganz gemächlich angehen lassen, denn unser bestelltes Taxi zum Flughafen kommt erst um 9:45 Uhr. So schlafen wir in Ruhe aus und Andreas absolviert eine letzte morgendliche Laufrunde durch Santiago. Ich versuche in der Zwischenzeit, bei Iberia online einzuchecken, was sich jedoch als völlig unmöglich erweist. Ein Anruf bei der Hotline liefert mir dann nur eine sehr unfreundliche Dame an den Apparat, die mangels passender Antworten irgendwann mitten im Gespräch einfach auflegt.
Mein Unbehagen in Sachen Rückflug steigt — als hätte ich es irgendwie geahnt, dass das mit Iberia nix wird…
Wir frühstücken gemütlich im Hotel und plaudern noch ein bisschen mit den anderen Gästen, bis der Taxifahrer erscheint und uns ohne Probleme durch den ruhigen Sonntagmorgen-Verkehr zum Flughafen bringt. Der Abschied von Santiago fällt uns nicht sonderlich schwer — das war gestern beim Verlassen von Patagonien schon ganz anders.
Wir reihen uns am Check-In Schalter von Iberia ein und treffen auf einen recht freundlichen Mitarbeiter. Es gibt zwar keine Upgrade-Möglichkeiten, aber er zaubert noch einen einzelnen Exit-Platz für uns hervor. Gegen Aufpreis zwar, aber für den langen Flug besser als nichts — also schlagen wir ein.
Gegen 11:00 Uhr sind wir schließlich unser Gepäck los, haben den Ausreisestempel der chilenischen Behörden im Pass und sind zuversichtlich, dass in 90 Minuten das Boarding beginnt. Wie man sich doch täuschen kann…
Wir setzen unsere allerletzten Bargeldbestände in einen Burger und eine Cola um, die beide brüderlich geteilt werden.
Dann bummeln wir noch ein bisschen durch die Shops und begeben uns so langsam zum Gate.
Und dort sitzen wir dann und warten und warten und warten.
Die Boarding-Zeit kommt und vergeht, die Minuten verrinnen, aber es tut sich nichts — nada, ничего, nothing…
Irgendwelche Informationen seitens des Personals — Fehlanzeige.
Etwa 90 Minuten nach der geplanten Boarding-Zeit gibt es dann eine kurze Durchsage auf Spanisch und es kommt Bewegung in die Massen. Die Leute begeben sich zum Schalter — na endlich — und wir stellen uns mit an. Nach einer weiteren Viertelstunde Warten — diesmal zur Abwechslung im Stehen — kommt eine weitere spanische Durchsage, gefolgt von kollektivem Aufstöhnen. Alle setzen sich wieder Ich hake beim Personal nach, ob es denn nicht möglich sei, die Ansagen auch auf Englisch zu machen. Das wäre hier ja wohl ein internationaler Flughafen und die Hälfte der Leute verstehe kein Spanisch. Doch, das gehe schon…
Die Durchsage kommt auf Englisch und wir erfahren, dass es in 30 Minuten neue Informationen geben soll. Irgendwelche technischen Überprüfungen am Flugzeug ziehen sich wohl in die Länge und ich ahne schon Schreckliches…
Die neuen Informationen kommen dann tatsächlich irgendwann: Allerdings nicht etwa vom Iberia-Personal, sondern von unserem Sitznachbarn, der eine SMS von LATAM erhalten hat: Flug gecancelt. Die Nachricht verbreitet sich rasch, Unruhe setzt ein und das Iberia Personal schafft es immerhin, eine Viertelstunde später diese Information offiziell zu bestätigen
Uns ist klar, dass so etwas passieren kann und dass es verantwortungsvoller ist, einen Flug zu stornieren als mit 350 Passagieren an Bord loszufliegen, wenn die technische Sicherheit nicht gewährleistet ist. Was allerdings hier und im Folgenden abgeht und wie die restlos überforderten Iberia-Mitarbeiter mit der Situation umgehen, ist eine absolute Katastrophe.
Über 300 Menschen auf einem Haufen, niemand weiß, was zu tun ist, Informationen sickern nur tropfenweise und immer nur auf Spanisch. Jedesmal muss man explizit darum bitten, das Ganze auf Englisch zu wiederholen.
Nach einer weiteren Stunde wissen wir dann endlich in etwa was zu tun ist: Wir müssen unsere Ausreise aus Chile rückgängig machen — also quasi rückwärts durch die Security — dann unsere Koffer vom Baggage Claim wieder abholen und an einen bestimmten Schalter gehen, wo wir umgebucht werden sollen.
Uns wird so grob die Richtung gezeigt, in die wir dazu gehen sollen. Dass uns aber evtl. jemand begleitet — Pustekuchen. So ein großer Flughafen ist ja eigentlich immer recht gut ausgeschildert, wenn man denn in die vorgesehene Richtung geht. Wir aber müssen quasi invers laufen und bekommen von jedem Offiziellen, den wir nach dem Weg fragen, eine andere Antwort
So dauert es ewig, bis wir wieder bei der Security ankommen, die uns dann natürlich prompt nicht wieder ins Land lassen will.
Es wird nach offiziellen Vertretern von Iberia gefragt, die immerhin nach einer weiteren halben Stunde erscheinen. Sie widersprechen sich zwar permanent in ihren Aussagen, aber irgendwann erreichen sie tatsächlich, dass wir die polizeiliche Genehmigung erhalten und wieder nach Chile rein dürfen.
Die Koffer haben wir dann recht schnell und begeben uns zum Umbuchungsschalter, an dem sich zwei lange Schlangen gebildet haben. Mittlerweile ist es 16:00 Uhr und wir stellen uns vorsorglich parallel in beiden an. Eine weitere Stunde passiert nichts — absolut nichts. Keine Informationen, keine Getränke. Der erste Passagier erleidet einen Schwäche-Anfall und ein Notarzt kommt. Ansonsten passiert weiterhin nichts…
Irgendwann erscheint ein Mitarbeiter von Iberia und verkündet den Leuten in der rechten Schlange, dass hier nur die Business Klasse abgefertigt würde und sich alle anderen am Ende der zweiten Schlange einreihen sollten. Es kommt fast zu einer Revolte. Die Leute fangen an, mit erhobenen Fäusten lautstark Parolen gegen Iberia zu brüllen und bleiben demonstrativ in der “Business-Schlange” stehen. Aber das nützt ihnen auch nichts, denn es passiert weiterhin nichts.
Irgendwann ist es mir zu blöd und ich gehe nach vorne und frage, was hier eigentlich gerade so abgeht. Mir wird erklärt, dass die Passagiere einer nach dem anderen auf andere Flüge umgebucht werden. Warum denn dann seit zwei Stunden noch kein einziger erfolgreich die Schlange verlassen habe? Die Antwort: das System liege gerade flach
Der Angestellte erklärt mir, die Chancen, heute noch wegzukommen, seien quasi gleich Null. Für morgen wären die Chancen dann etwas besser, wenn man denn im ersten Viertel der Schlange stehen würde. Tun wir aber nicht.
Wir beschließen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich google fix nach anderen Flügen und finde auf einem Portal einen Air France Flug über Paris und Amsterdam, der heute Abend noch startet. Noch drei freie Plätze. Wir zögern kurz — Kostenpunkt für uns beide zusammen immerhin 2.600 EUR — klicken dann aber in der Hoffnung, irgendetwas von dem Geld später wieder zubekommen. Ein erstes Durchatmen — das wäre geschafft
Wir bleiben trotzdem noch eine Weile in der Schlange stehen in der Hoffnung, wenigstens einen Voucher für Verpflegung zu bekommen. Aber die Schlange bewegt sich nach wie vor keinen Millimeter. Und auch nach dem zweiten Notarzt-Einsatz denkt niemand von Iberia daran, die Leute vielleicht mal mit Getränken zu versorgen.
Wir geben gefrustet auf und lassen das Chaos hinter uns.
Wir checken online ein für unseren neuen Flug und da es mittlerweile fast 19:00 Uhr ist, können wir bei der Air France auch schon unser Gepäck aufgeben.
Wir bekommen zwar keine besonders guten Plätze mehr, aber was soll’s. Hauptsache wir kommen heute noch hier weg und morgen wieder zu Hause an. Es folgt ein kleines Déjàvu. Durch die Polizeikontrolle, durch die Sicherheitskontrolle, gezwungenermaßen durch die Duty Free Shops und schließlich am Gate das Warten auf das Boarding.
Das hatten wir heute alles schon einmal…
Diesmal klappt aber zum Glück alles und der Flieger nach Paris hebt gegen 23:00 Uhr Ortszeit relativ pünktlich ab.
Der Flug ist mit 14 Stunden verdammt lang und wir haben keine besonders tollen Plätze. Wir sitzen jeweils in einer Dreierreihe in der Mitte — also nicht einmal zusammen — und meine Sitznachbarn sind auch nicht unbedingt erste Wahl. Ich fühle mich zwischen den beiden recht kräftigen Mannsbildern, die beim Schlafen jeweils eine ziemliche Schräglage in meine Richtung einnehmen, recht erdrückt und werde noch dazu permanent angehustetet…
Aber wir kommen am nächsten Tag überpünktlich in Paris an und denken, dass wir es nun geschafft haben. Leider ist dem noch nicht so.
Am Check-In nach Amsterdam verkündet die Crew, dass es aufgrund des Wetters in Amsterdam aktuell Probleme gäbe. Nur die Hälfte der Landebahnen sei freigegeben, wodurch sich alle Ankünfte verzögern. Es wird eine Verspätung von etwa zwei Stunden angekündigt und wir sehen unseren Anschlussflug nach Stuttgart schon dahinschwinden.
Dann aber eine unerwartete und sehr positive Überraschung: nur ein paar Minuten später erhalten wir eine SMS von der Air France, dass wir automatisch auf einen anderen Flug umgebucht worden sind. Und zwar auf einen Direktflug von Paris nach Stuttgart noch heute Abend. Ein Service, von dem sich Iberia eine dicke Scheibe abschneiden könnte.
Der Rest verläuft dann fast planmäßig: Mit dem Bus geht es zum Terminal 2G, wo wir ohne weitere Sicherheitskontrolle direkt an’s Gate können, und gegen 21:30 Uhr heben wir endlich nach Stuttgart ab.
Hier kommen wir eine Stunde später an — allerdings zunächst ohne unsere Koffer. Aber das ist uns zu diesem Zeitpunkt sowas von egal, die Wäsche muss halt einfach warten…
Wir melden das fehlende Gepäck und sind schließlich kurz vor Mitternacht zu Hause, wo wir nur noch völlig erledigt in unsere Betten und Sekunden später in absoluten Tiefschlaf fallen. Ein paar Stunden Erholung, bevor es am nächsten Morgen wieder ins Büro geht…
Kein allzuschönes Ende unserer ansonsten traumhaften Reise, aber wir haken es schnell ab, denn die tausend schönen Erinnerungen überwiegen bei weitem die wenigen Stunden Ärger.
Und wir wissen schon heute, dass das nicht unser letzter Urlaub in Südamerika war